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Ich bin das Opfer!

Der Sturm treibt sein Unwesen und fegt über die Häuser, durch die Gassen und durch die Köpfe dieser einsamen Spezies da draussen hinweg. Verwirrung und Unwohl tun sich kund. Ich fühle es. Psychopharmaka sollen helfen. So sei es! Dann besucht man den Wohlfühl-Spezialisten. Im Internet hat man ihn gefunden und er ist der Experte. Ein weiser Mann. Noch nicht ganz alt. Gold verzierte Hände weisen einem den Weg in die Praxis, auf den Diwan. Ein Gespräch bahnt sich an. Wie man sich denn so fühle, möchte dieser Herr erkunden und sondiert Plattitüden. „Beschissen natürlich!“, antwortet man, sonst wäre man ja wohl nicht hier. Behutsam wird eine Brille zurechtgerückt, bis sie wieder auf dem Mittelpunkt der Nase weilt. Hände werden kurz gerieben. Man vernimmt einen leichten Seufzer und erspäht einen mitleidsvollen Blick. Ich bin das Opfer! Nur muss man jetzt damit beginnen, diese Rolle auch zu genießen. So viel Aufmerksamkeit bekommt man nur für hohe Stundensätze. Das muss sich auch lohnen. Aber dann: Standartprozedur! Die gute, alte Kindheit will er also bemühen, und fragt, und fragt, und fragt; nach Umständen, Konstellationen, Zusammenhängen, Erfahrungen und Misserfolgen. Ich kann ihm nichts dazu erzählen, zu fern ist das alles schon von mir weggetreten. Ich sage ihm, ich lebe voll und ganz im Jetzt, die Zukunft sei es, was mir Angst mache, mit der Vergangenheit hätte ich abgeschlossen. Die Stunde ist vorbei. Es wird ein neuer Termin vereinbart. Man schüttelt Hände. Man bedankt sich gegenseitig. Man geht; ohne Rezept in der Tasche. Es wird kein Wiedersehen geben, das fühle ich. [Auszug aus: Treffpunkt Couchdas nie geschriebene Buch]

Das Medium als Wahnträger! Collage made by Falsch 2005

6 Kommentare

  1. Tobi
    24. August 2010

    | 4:14 pm

    Wo ist unser Coué-Experte wenn man ihn braucht? Was denkt er dazu? Wie erklärt er die Leere nach der therapeutischen Sitzung? Wie autosuggeriert man sich in einen therapiekompatiblen Basiszustand ohne die Ergebnisse der Sitzung negativ vorzubelasten?

    Und das Wort heißt Standard, Standarten sind was anderes. Sorry, aber bei dem Rechtschreibfehler brauch ich langsam die Couch. (;

  2. 24. August 2010

    | 4:33 pm

    Sehr geehrter Herr Quantum von Tobiasinius,

    es sind äusserst interessante Fragen die Sie
    da aufwerfen. Auch den Ruf nach Expertise eines
    “Fachkundigen” kann ich Ihnen nachempfinden.
    Der tiefe Wunsch nach Psychoanalyse stand hier
    jedoch nicht im Vordergrund. Es geht mir primär
    um das zwischenmenschliche Beisammensein zweier
    Fremder, zum jeweiligen selbstbezogenen Zwecke.
    Transaktion: Geld + Ritual = Droge; oder eben
    auch nicht, wie in diesem fiktiven Falle.

    Extremste Grüße aus dem Übergrund!

    (Für Rechtschreibfehler entschuldige ich mich nicht;
    bitte einfach uminterpretieren; so eine Sitzung mag
    ja auch verweht, windig und flatterig sein…)

  3. Tobi
    24. August 2010

    | 4:52 pm

    Ewro Hoheit,

    es stimmt, ich vergaß den Kern des Werkes zu würdigen, namentlich die Darstellung der Situation der Couchsitzung als Geschäftshandlung mit eigentlich wohldefiniertem Rollenverhalten und den aus diesen vorgefertigten Rollen folgenden Schwierigkeiten bei der Genese der Therapiesituation. Meisterlich gelungen!

  4. 25. August 2010

    | 12:29 pm

    Hab Dank für den Lobgesang!

  5. v.
    27. October 2010

    | 7:11 pm

    Herr Falsch,

    ich lasse Sie gruessen und bin ein Mal wieder darueber erstaunt, wie gerne wir und doch in die Haende oder Ohren anderer befehlen, lieber passiv sind, als verantwortlich. Und dafuer auch noch Geld hinlegen.

    So ist das.

    Hochachtungsvoll

    V.

  6. falsch
    28. October 2010

    | 5:19 pm

    Ah V. for Violetta,

    ich grüße Sie ebenfalls!
    Die Däumchendreher- und Unter-den-Teppich-Kehrer-Philosophie spricht Sätze und Bände. Wenn das ganze Zwischenmenschliche passiv geschieht, können wir uns alle gleich in die Kiste legen oder in Selbst-Isolations-Projekten schwelgen; den Analytikern zur Freude…

    Untertänigst!

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